Gesund mit Felix (13): Warum Schmerzen wandern – und was die Nerven damit zu tun haben
Die Gesundheitskolumne von Osteopath Felix Kammerlander (Folge 13)
Vielleicht hast du das selbst schon erlebt: Erst zieht es im unteren Rücken, ein paar Wochen später meldet sich die Hüfte. Oder der Nacken war lange das Problem – plötzlich spürst du Spannung in der Schulter oder zwischen den Schulterblättern. Viele Menschen sind davon verunsichert. Sie fragen sich, ob etwas „Schlimmeres“ dahintersteckt oder ob sich das Problem ausbreitet. Dabei ist wandernder Schmerz oft kein Zeichen von Schaden, sondern ein Hinweis darauf, wie flexibel – und komplex – unser Nervensystem arbeitet.
Schmerz entsteht nicht im Muskel
Ein weitverbreitetes Missverständnis ist, dass Schmerzen dort entstehen, wo sie gespürt werden. In Wirklichkeit ist Schmerz kein lokales Ereignis im Muskel oder Gelenk, sondern eine Wahrnehmung, die vom Nervensystem erzeugt wird.
Rezeptoren in Muskeln, Sehnen und Gelenken melden Informationen wie Spannung, Druck oder Bewegung an das Gehirn. Erst dort wird entschieden, ob daraus Schmerz entsteht – und wie stark er wahrgenommen wird.
Das bedeutet: Ein Muskel kann völlig intakt sein und trotzdem schmerzen. Und umgekehrt können Veränderungen im Gewebe bestehen, ohne dass Schmerzen auftreten.
Warum Schmerzen ihren Ort wechseln können
Das Nervensystem arbeitet nicht punktuell, sondern in Netzwerken. Muskeln, Gelenke und Faszien sind über Nervenbahnen miteinander verbunden. Wenn in einem Bereich über längere Zeit erhöhte Spannung oder Reizung besteht, kann das Nervensystem beginnen, die Aufmerksamkeit auf andere Regionen zu lenken. Typische Gründe, warum Schmerzen „wandern“:
- Entlastung durch Ausweichbewegungen: Der Körper schont einen Bereich und belastet dafür einen anderen stärker.
- Veränderung der Spannungsverteilung: Wenn Spannung an einer Stelle nachlässt, wird sie an anderer Stelle deutlicher wahrgenommen.
- Zentrale Sensibilisierung: Das Nervensystem wird insgesamt aufmerksamer für Reize.
- Schutzmechanismen: Der Körper verteilt Belastung, um sich selbst zu schützen.
Das fühlt sich für Betroffene oft so an, als würde sich das Problem verlagern – tatsächlich reagiert das System nur dynamisch.
Ein Beispiel aus dem Alltag
Angenommen, du hattest längere Zeit Rückenschmerzen. Du bewegst dich vorsichtiger, spannst unbewusst den Bauch und die Schultern an, um Stabilität zu schaffen.
Irgendwann wird der Rücken besser – dafür meldet sich plötzlich der Nacken. Nicht, weil dort etwas „kaputtgegangen“ ist, sondern weil der Körper über Wochen andere Muskeln stärker in Anspruch genommen hat.
Das Nervensystem bewertet ständig: „Wo brauche ich gerade mehr Spannung? Wo kann ich loslassen?“
Und diese Bewertung verändert sich mit der Zeit.
Die Rolle des Nervensystems
Wie wir in anderen Artikeln bereits besprochen haben, steuert das Nervensystem jede Muskelspannung. Muskeln handeln nicht eigenständig. Wenn Schmerzen wandern, ist das oft ein Zeichen dafür, dass das Nervensystem versucht, Belastung zu regulieren. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle:
- Stress und emotionale Anspannung
- Schlafqualität
- Bewegungsmuster im Alltag
- alte Schutzmuster (z. B. nach Stürzen oder Unfällen)
- allgemeines Aktivitätsniveau
Je sensibler das Nervensystem eingestellt ist, desto schneller reagiert es auf Veränderungen – und desto eher kann sich Schmerz an wechselnden Stellen zeigen.
Warum Bildgebung oft keine klare Antwort liefert
Viele Menschen sind irritiert, wenn MRT oder Röntgen keine eindeutige Ursache zeigen, obwohl die Schmerzen „wandern“. Das liegt daran, dass bildgebende Verfahren vor allem strukturelle Veränderungen abbilden.
Wandernde Schmerzen sind jedoch häufig funktionell oder neurologisch bedingt – sie entstehen durch Spannungssteuerung, nicht durch Gewebeschäden.
Das heißt nicht, dass der Schmerz „eingebildet“ ist. Er ist real – aber seine Ursache liegt in der Verarbeitung, nicht im Material.
Was hilft, wenn Schmerzen wechseln
Wenn Schmerzen nicht an einem festen Ort bleiben, ist es sinnvoll, den Blick zu weiten:
- Statt nur die schmerzende Stelle zu betrachten, den ganzen Körper einbeziehen
- Bewegungsgewohnheiten überprüfen
- Atem, Stress und Erholung mitdenken
- auf Ausgleich statt auf reine Kräftigung setzen
Sanfte Bewegung, Mobilisation, bewusste Atmung und Wärme können dem Nervensystem signalisieren, dass keine dauerhafte Schutzspannung nötig ist. Genau diese Reize helfen, die Spannungsverteilung wieder zu normalisieren
FazitDie osteopathische Perspektive
In der osteopathischen Arbeit wird Schmerz deshalb nie isoliert betrachtet. Wenn Beschwerden ihren Ort wechseln, ist das oft ein Hinweis darauf, dass das System insgesamt aus dem Gleichgewicht geraten ist – nicht ein einzelnes Gelenk oder ein einzelner Muskel.
Osteopathie versucht, diese Zusammenhänge zu verstehen:
- Wo hält der Körper unnötig Spannung?
- Wo fehlt Bewegung?
- Welche Regionen kompensieren für andere?
- Wie reagiert das Nervensystem auf Berührung und Bewegung?
Ziel ist es nicht, den Schmerz „wegzumachen“, sondern dem Körper zu helfen, wieder selbst besser zu regulieren.
Fazit
Schmerzen, die wandern, sind kein ungewöhnliches Phänomen und oft kein Zeichen von Schaden. Sie zeigen, wie dynamisch dein Nervensystem arbeitet und wie flexibel der Körper Belastung verteilt. Wer versteht, dass Schmerz eine Steuerungsfunktion hat und nicht immer an einen festen Ort gebunden ist, kann gelassener mit Beschwerden umgehen – und gezielter unterstützen, was der Körper wirklich braucht.
Das Zusammenspiel aus Muskulatur, Gelenken und Nervensystem macht deutlich: Der Körper arbeitet als Einheit – und genau diese Perspektive hilft, wieder mehr Leichtigkeit in Bewegung zu bringen.
© Felix Kammerlander / Praxis Angewandte Osteopathie
Der Autor

Felix Kammerlander hat Osteopathie studiert und betreibt seit acht Jahren die Praxis Angewandte Osteopathie in Marxheim. Ab sofort erscheint hier regelmäßig seine Kolumne „Gesund mit Felix” mit Gesundheitsinformationen und präventiven Tipps - eine verlässliche Anlaufstelle für Ratschläge zur Vorbeugung, Schmerzbewältigung und für einen ausbalancierten Körper. Viel Freude beim Lesen und Ausprobieren neuer Wege zu mehr Wohlbefinden!

