Hofheim zwischen Pleite und Jazz: Wer rettet die städtische Kultur?

Hofheim zwischen Pleite und Jazz: Wer rettet die städtische Kultur?

Leere Stadtkasse, die Musikschule vor der Pleite – und jetzt auch der Jazzkeller am Abgrund. Hofheims Lokalpolitik steht vor einer Zerreißprobe. Wer bekommt Geld, wer geht leer aus – und wer rettet den traditionsreichen Jazzkeller, bevor ein Stück städtischer Kulturszene für immer verschwindet? Eindrücke nach einem Ortsbesuch.

Es war schon dunkel und dezemberlich nasskalt, als einige Hofheimer Stadtpolitiker die abgetretenen Treppenstufen zum Jazzkeller unter dem Güterschuppen hinunterstiegen. Was sie vorfanden, war ernüchternd:

Kabel hingen von der Decke, der Putz war von den Wänden abgeschlagen, Wasser hatte alle Räume unbrauchbar gemacht.

Der Jazzkeller – eine einzige Baustelle.

Eine Sanierung würde mehrere Hunderttausend Euro kosten, hieß es – Geld, das der Verein „Club der Jazzfreunde“ allein nicht stemmen kann. Droht er zu scheitern, würde auch ein Stück Hofheimer Kulturszene verschwinden.

Jazz Keller
Schluss mit Jazz: Die Bühne im Jazzkeller – hier kann erst einmal nichts mehr stattfinden.

Da ballt sich was zusammen in der Kreisstadt! Tage zuvor hatte die städtische Musikschule Alarm geschlagen: Sie steckt tief in den roten Zahlen. Der angestellte Geschäftsführer meldete es erst im allerletzten Moment – dafür mit klarer Ansage: mehr Geld oder Insolvenz. Die Musikschule ist ein Herzensprojekt vieler Stadtverordneter, einige wollten am liebsten gleich die Stadtkasse aufbrechen.

Doch da ist kein Geld mehr drin. Die Stadt ist blank, die Kasse ratzeputz leer. Bürgermeister Wilhelm Schultze verbreitet seit Tagen, dass die Lage dramatisch sei und drastische Einsparungen folgen werden. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen den Gürtel enger schnallen; auch Gebühren und Steuern könnten steigen.

Die Lokalpolitik taumelt zwischen Pflichtbewusstsein und Gefühlschaos: Wer kann jetzt noch Hilfe bekommen – und wer geht leer aus?

Jazzkeller: Die Renovierung wird Hunderttausende Euro kosten

Am Beispiel des Jazzkellers wird die Misere dieser Stadt deutlich. Die Notlage des Vereins ist nicht nur Folge des Wasserschadens, sondern auch gravierender Versäumnisse der früheren Stadtführung: schlampige Verwaltung, mangelhafte Kommunikation, verschleppte Entscheidungen – darin droht der Jazzkeller unterzugehen. Ein Stück kultureller Identität Hofheims steht auf dem Spiel.

„Wir bieten einen niedrigschwelligen Zugang zu hochwertigen Kulturangeboten, fördern junge Künstlerinnen und Künstler“, sagt Vereinsvorsitzender Jonas Heumann. „Das darf doch nicht einfach alles aufgegeben werden!“

Jazz Keller
Der Eingang zum Jazzkeller heute: Das Graffiti hat nach 20 Jahren deutlich Patina angesetzt.

Wie es dazu kommen konnte, ist weitgehend klar: Corona hatte den Verein beinahe in die Knie gezwungen, doch nach der Pandemie rappelte man sich wieder auf, fuhr das Programm hoch, viele Besucher kamen – es ging voran.

Dann kam das Wasser. Von oben. Es lief schon aus den Steckdosen, hieß es. Was war passiert?

Über dem Jazzkeller ist der Güterschuppen, ein denkmalgeschützter Bau im städtischen Besitz, zeitweilig Lagerraum für Handwerksbetriebe, immer wieder leerstehend. Mehrmals sollen Angebote von Pachtinteressenten im Rathaus vorgelegen haben – mal wurden sie nicht beachtet, mal abgelehnt. Dann kamen die zwei Inhaber der Taunus Braumanufaktur, Marcel Reimer und Jascha Wolf, und der damals zuständige SPD-Stadtrat fand ihren Plan so gut, dass er umgehend tätig wurde:

Der Güterschuppen wurde aufgemöbelt, das Dach ausgebessert, die Fenster abgedichtet. Im Rahmen der Aufräumarbeiten wurde der Boden abgespritzt – das allerdings war ein folgenschwerer Fehler:

Denn die Betonplatte – unterdrunter befindet sich der Jazzkeller – ist rissig oder porös. Das Wasser lief durch, was nicht sofort gemerkt wurde, weil die Decke des Jazzkellers mit Rigips-Platten abgehängt war.

Und plötzlich gingen buchstäblich die Lichter aus. Alle!

Jazz Keller
Der Tresenbereich im Jazzkeller. Von der Decke hängt ein Gewirr von Stromkabeln.

Alles musste raus, der Jazzkeller wurde zur Baustelle. Erkennbar wurde auch: Der Sanierungsstau bei Elektrik, Belüftungsanlage und Brandschutz war beträchtlich, bei den Toiletten sowieso. Geschätzte Kosten eine Renovierung: 300.000 bis 400.000 Euro, vielleicht sogar noch mehr.

Wer kommt für den Schaden auf? Die Stadt? Die Braumanufaktur? Versicherungen? Bis heute hat sich offenbar niemand richtig gekümmert.

Die Jungs von der Braumanufaktur sind nicht versichert, hieß es an dem Abend im Jazzkeller. Sind wir doch, sagt dagegen Jascha Wolf. Und dann sagt er auch: „Uns hat bis heute noch keiner angesprochen.“ Der Jazzkeller-Verein habe vor langer Zeit mal eine Liste vorgelegt mit allen Schäden, die ihm durch die Schließung entstanden sein sollen – von Personalkosten bis Einnahmeverluste aus ausgefallenen Veranstaltungen. „Das können wir doch nicht unserer Versicherung vorlegen“, sagt Wolf.

Seitdem habe er nichts mehr gehört. Auch die Stadt als Eigentümerin des Gebäudes habe sich nicht gemeldet.

Und nun?

Kann ehrenamtliches Anpacken den Jazzkeller noch retten?

Bei der Besichtigung wurde klar: Für viele Stadtverordnete ist der Jazzkeller ein Hort voller Jugenderinnerungen. „Wir würden ihn gerne bewahren“, war der Tenor. Natürlich wollen wir helfen, sagten alle. Aber wie?

Erster Beigeordneter Daniel Philipp, im Rathaus zuständig seit wenigen Wochen, wirkte ratlos. Dreihundert bis vierhunderttausend  Euro? „Wir haben kein Geld mehr. Wir können uns das nicht leisten.“

Ein Plan wurde an diesem Abend bekannt: Einige Hofheimer, seit jeher eng verbunden mit dem Jazzkeller, wollen mitanpacken. Weil sie als Rentner die Zeit haben und auch das fachliche Know How und handwerkliche Können.

Aber reicht das? 

Philipp versprach, dass man im Rathaus jede Initiative unterstützen wolle – und jetzt auch prüfen werde, und zwar mit Nachdruck, was man finanziell noch tun kann. Und wie das mit der Braumanufaktur gelaufen ist. Und ob man deren Versicherung noch in Anspruch nehmen könne.

Jazz Keller
Jazzkeller heute: Der kurze Flur zu den Toiletten – Rohre und Kabel hängen offen unter der Decke.
Jazz Keller
Der Jazzkeller kürzlich: Große Trockungsgeräte mussten nach dem Wasserschaden aufgestellt werden.

So steht die Stadt jetzt vor einer bitteren Wahrheit: Wer die Musikschule retten will, kann nicht gleichzeitig den Jazzkeller fallen lassen.

Doch Geld ist keines da – für beides.

Die Politik im Zwiespalt: Herz oder Kasse, Kultur oder Budget, Jugendträume oder Haushaltszwang. Jazzkeller wie Musikschule sind Herzstücke der Hofheimer Kulturszene – und beide kämpfen ums Überleben. Die Entscheidungen, die in nächster Zeit fallen – fallen müssen! – werden zeigen, wie Hofheim seine kulturellen Schätze wertschätzt.

Oder ob wir alle auf ein Stück lebendige Stadtgeschichte verzichten müssen.


Unser Foto oben zeigt den Eingang zum Jazzkeller vor 20 Jahren,das Foto rechts die Außenfassade des Güterschuppens. Die farbenfrohen Wände stammen vom Hofheimer Graffiti- und Urban-Art-Künstler Helge „Bomber“ Steinmann, sie erinnern bis heute an die kulturellen Highlights des Jazzkellers, der für sein einzigartiges Programm deutschlandweit bekannt ist.

Jazz Keller

Quelle : HN/TR

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