Gesund mit Felix (10): Warum das Nervensystem in der Osteopathie so entscheidend ist
Die Gesundheitskolumne von Osteopath Felix Kammerlander (Folge 10)
Wer an körperliche Beschwerden denkt – zum Beispiel Verspannungen, Rückenschmerzen oder Bewegungseinschränkungen –, denkt wahrscheinlich zuerst an Muskeln, Gelenke oder vielleicht an ein „Problem im Gewebe“. Doch ein Bereich wird oft übersehen, obwohl er in Wahrheit der wichtigste ist: das Nervensystem.
In der osteopathischen Arbeit zeigt sich immer wieder: Muskeln und Gelenke handeln nicht von sich aus. Sie sind keine eigenständigen Einheiten, sondern werden vollständig vom Nervensystem gesteuert. Wenn du also verstehen möchtest, warum sich Spannung aufbaut, warum Schmerzen bleiben oder warum manche Beschwerden erst durch sanfte manuelle Arbeit besser werden, muss die Rolle der Nerven in Betracht gezogen werden.
Ein Muskel entscheidet nicht selbst, ob er sich anspannt oder entspannt.
Ein Gelenk bewegt sich nicht ohne Grund geschmeidig oder steif.
Und eine Verspannung entsteht nicht „einfach so“, weil ein Muskel für sich allein etwas tut.
Alles, was du spürst und alles, was dein Körper tut, läuft über neurologische Steuerung:
- wie fest ein Muskel zieht
- wie viel Spannung ein Bereich hält
- wie geschützt oder frei sich ein Gelenk bewegt
- wie empfindlich ein Gewebe auf Druck reagiert
- wie du Haltung und Bewegung im Alltag organisierst
Diese Steuerung ist ein hochkomplexes Zusammenspiel aus Gehirn, Rückenmark, Reflexen, Wahrnehmung und Erfahrung. Muskeln sind am Ende „nur“ die ausführenden Werkzeuge.
Genau deshalb ist das Nervensystem in der osteopathischen Behandlung so zentral.
Warum Verspannungen ein Thema des Nervensystems sind
In mehreren bisherigen Artikeln haben wir darüber gesprochen, dass Verspannungen meist keine Kraftprobleme sind (zum Beispiel hier). Sie entstehen nicht dadurch, dass ein Muskel zu schwach ist, sondern dadurch, dass er zu stark angesteuert wird.
Das Nervensystem erhöht die Spannung eines Muskels aus verschiedenen Gründen:
- Schutz (z. B. nach einem Sturz oder Unfall)
- Stress und emotionale Anspannung
- Fehlhaltungen im Alltag
- Kälte oder Zugluft
- Bewegungsmangel
- einseitiges Arbeiten
- fehlende Sicherheit oder Stabilität in einem bestimmten Bereich
Wenn das Nervensystem diese erhöhte Spannung nicht von selbst herunterfährt, entsteht ein chronisches Spannungsmuster. Und egal wie viel du dehnst, rollst oder massierst – solange das Nervensystem den Bereich weiterhin „bewacht“, lässt die Spannung nur schwer los.
Warum das Gehirn manchmal in alten Mustern hängen bleibt
Ein spannender Punkt, den wir in einem früheren Artikel ausführlich beleuchtet haben:
Nach Stürzen oder Unfällen kann das Nervensystem ein dauerhaftes Schutzmuster speichern. Beispiele:
- Nach einem Auffahrunfall hält der Nacken über Jahre eine höhere Grundspannung.
- Nach einem Sturz auf die Hüfte verändert sich die Beckenbeweglichkeit.
- Nach Überlastung bleiben bestimmte Muskelgruppen „auf Abruf“, auch wenn keine Gefahr mehr besteht.
Diese Muster sind nicht sichtbar in MRT oder Röntgen – denn sie sind funktionell, nicht strukturell.
Genau hier beginnt die osteopathische Arbeit: zu erkennen, welche Muster aktiv sind und warum sie nicht heruntergefahren werden.
Wie Osteopathie mit dem Nervensystem arbeitet
Osteopathische Techniken wirken selten durch Kraft – sie wirken durch Wahrnehmung, Sicherheit und Regulation. Das Ziel ist immer, dem Nervensystem zu vermitteln: „Du kannst loslassen. Es ist alles stabil. Es besteht keine Gefahr.“
Das passiert über:
- sanfte Mobilisation
- ruhige, wiederholte Bewegungsimpulse
- leichte Dehnung oder Zug
- Unterstützung der Atmung
- Verbesserung der lokalen Durchblutung
- Entlastung von Strukturen, die überlastet waren
Diese Reize wirken nicht mechanisch im Sinne von „wir drücken den Muskel weich“.
Sie wirken neurologisch: Das Nervensystem reguliert die Spannung neu – von innen heraus
Warum Verständnis genauso wichtig ist wie Behandlung
Ein zentraler Punkt: Wenn du weißt, wie dein Körper Spannung reguliert, kannst du Beschwerden besser steuern. Beispiele:
- Beim Dehnen entsteht die Entspannung nicht durch „Länge“, sondern durch das Signal der Sicherheit.
- Bei Kälte spannt der Körper automatisch an – deshalb ist Wärme so effektiv.
- Bei Verspannungen ist Krafttraining nicht die Lösung, weil es den Muskeltonus erhöht.
- Nach alten Stürzen hilft keine „tiefe Massage“, sondern die Regulation von Schutzprogrammen.
Mit diesem Wissen kannst du im Alltag viel bewusster reagieren – mit Atmung, Bewegung, Wärme oder sanfter Mobilisation.
Warum das Nervensystem der Schlüssel zu nachhaltiger Veränderung ist
Viele Beschwerden bleiben bestehen, weil am falschen Ende gearbeitet wird. Menschen bearbeiten Muskulatur und Gewebe, obwohl die Steuerung des Problems in der Tiefe – im Nervensystem – sitzt.
Ein Muskel kann aber nur entspannen, wenn der Befehl dazu von innen kommt. Deshalb ist osteopathische Arbeit nicht einfach „Muskelbehandlung“, sondern ein Prozess, der:
- Spannung reguliert
- Schutzmuster löst
- Bewegungsfreiheit zurückgibt
- die Wahrnehmung verbessert
- das Körpergefühl stärkt
Und damit die Grundlage schafft, dass Beschwerden besser in den Griff zu bekommen sind.
Fazit
Das Nervensystem entscheidet darüber, wie dein Körper sich bewegt, wie er reagiert und wie er Spannung hält.
Muskeln und Knochen folgen nur den Befehlen, die sie erhalten.
Deshalb ist das Verständnis dieser Zusammenhänge in der osteopathischen Arbeit so wichtig – und auch für dich als Patient entscheidend, um Beschwerden zu verstehen und sinnvoll zu beeinflussen.
© Felix Kammerlander / Praxis Angewandte Osteopathie
Der Autor

Felix Kammerlander hat Osteopathie studiert und betreibt seit acht Jahren die Praxis Angewandte Osteopathie in Marxheim. Ab sofort erscheint hier regelmäßig seine Kolumne „Gesund mit Felix” mit Gesundheitsinformationen und präventiven Tipps - eine verlässliche Anlaufstelle für Ratschläge zur Vorbeugung, Schmerzbewältigung und für einen ausbalancierten Körper. Viel Freude beim Lesen und Ausprobieren neuer Wege zu mehr Wohlbefinden!

