Gesund mit Felix (8): Wenn alte Stürze nachwirken – und der Körper nicht loslässt

Die Gesundheitskolumne von Osteopath Felix Kammerlander (Folge 8)

Manchmal kommen Menschen mit Beschwerden in die Praxis, die scheinbar „aus dem Nichts“ entstanden sind: Nackenverspannungen, Rückenschmerzen, Bewegungseinschränkungen – und das, obwohl es keinen aktuellen Unfall oder besondere Belastung gab. Erst im Gespräch fällt auf: Vor Jahren gab es einmal einen Sturz, einen Auffahrunfall oder ein anderes Ereignis, das längst vergessen schien. Solche alten Erlebnisse können tatsächlich auch heute noch eine Rolle spielen – nicht, weil damals etwas „kaputt“ gegangen ist, sondern weil der Körper manchmal in der Spannung von damals hängen bleibt.

Unser Körper reagiert auf jede plötzliche Bedrohung – etwa einen Aufprall oder Sturz – mit blitzschnellen Schutzmechanismen. Muskeln spannen sich reflexartig an, um empfindliche Strukturen zu schützen. Das passiert ganz automatisch, gesteuert voma Nervensystem, lange bevor du bewusst reagieren kannst. Bei einem Schleudertrauma zum Beispiel werden die Nackenmuskeln in Millisekunden fest, um Kopf und Wirbelsäule zu stabilisieren.

Normalerweise löst sich diese Spannung wieder, sobald die Gefahr vorbei ist. Doch manchmal bleibt sie – zumindest teilweise – bestehen. Der Körper „merkt“ sich den Unfall, auch wenn äußerlich alles verheilt ist.

Wenn der Körper die Spannung nicht mehr loslässt

Warum gelingt das Loslassen nicht immer?

Das Nervensystem speichert Bewegungsmuster und Spannungszustände als eine Art Schutzprogramm. Wenn der Aufprall stark oder die Situation emotional belastend war, bleibt dieses Programm unbewusst aktiv. Das heißt: Die Muskeln werden weiter stärker angesteuert, als es eigentlich nötig wäre. Nicht, weil sie verletzt sind, sondern weil das Gehirn sie „in Bereitschaft“ hält – so, als könnte der nächste Schlag jeden Moment kommen.

Über Wochen, Monate oder sogar Jahre führt das dazu, dass bestimmte Bereiche dauerhaft unter höherer Spannung stehen. Diese chronische Aktivierung kann wiederum andere Regionen beeinflussen:

  • Eine alte Nackenverspannung kann sich auf Schulter oder Kiefer auswirken.
  • Eine Beckenverhärtung nach einem Sturz kann die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule oder der Beine verändern.
  • Manchmal verschiebt sich das ganze Körpermuster, sodass neue Beschwerden entstehen, die gar nicht mehr mit dem ursprünglichen Unfall in Verbindung gebracht werden.

Keine sichtbare Verletzung – und doch Beschwerden

Das Spannende (und manchmal Frustrierende) daran ist: Solche Spannungsmuster sind in bildgebenden Verfahren oft nicht sichtbar.

Ein MRT oder Röntgenbild zeigt keine „Erinnerung“ des Nervensystems, keine Restspannung und kein altes Schutzprogramm.

Darum hören Betroffene häufig: „Da ist nichts.“ Und trotzdem spüren sie, dass etwas nicht stimmt – dass der Körper sich ungleich, asymmetrisch oder einfach nicht frei anfühlt.

Der Körper erinnert sich – auf seine Weise

Jede Bewegung, jede Spannung und jede Entlastung ist Teil eines komplexen Zusammenspiels. Wenn irgendwo über längere Zeit eine zu hohe Muskelspannung besteht, verändert sich nicht nur das Gewebe selbst, sondern auch die Art, wie das Gehirn diesen Bereich wahrnimmt und steuert.

So entstehen kompensierte Bewegungsmuster: Der Körper versucht, die Belastung anders zu verteilen. Anfangs funktioniert das hervorragend – später kann es jedoch zu neuen Schmerzen oder Einschränkungen führen, scheinbar ohne erkennbaren Auslöser.

Wie man solche Zusammenhänge erkennt

Viele Betroffene sind überrascht, wenn sie erfahren, dass ihre aktuellen Beschwerden möglicherweise auf ein Ereignis von vor Jahren zurückgehen. Hinweise darauf können sein:

  • Eine Körperseite fühlt sich dauerhaft „steifer“ oder empfindlicher an.
  • Bestimmte Bewegungen lösen immer wieder dieselben Spannungen aus.
  • Entspannungsübungen oder Massagen helfen, aber nur kurzzeitig.
  • Man erinnert sich an einen alten Sturz oder Unfall – auch wenn er damals harmlos wirkte.

Diese Informationen sind für Therapeutinnen und Therapeuten oft entscheidend, um den roten Faden zu finden.

Was der Körper braucht, um loszulassen

Damit alte Spannungen sich lösen können, braucht das Nervensystem vor allem eines: Sicherheit.
Sobald der Körper wahrnimmt, dass keine Gefahr mehr besteht, kann er beginnen, alte Schutzprogramme herunterzufahren. Das gelingt meist nicht durch Kraft oder Druck, sondern durch ruhige, bewusste Bewegung, gezielte Mobilisation, sanfte Dehnung oder Wärme – also Reize, die Entspannung und Vertrauen fördern.

Auch osteopathische Ansätze zielen genau darauf ab: die Spannungsverteilung im Körper zu verstehen, Zusammenhänge zu erkennen und über manuelle Impulse den Körper wieder in sein Gleichgewicht zu begleiten. Dabei geht es nicht darum, „alte Verletzungen zu heilen“, sondern darum, dem System die Möglichkeit zu geben, sich selbst neu zu organisieren.

Geduld mit dem eigenen Körper

Wenn Beschwerden ihre Wurzeln in alten Mustern haben, braucht auch ihre Auflösung Zeit.

Der Körper muss das neue Sicherheitsgefühl erst verinnerlichen und seine Steuerung anpassen. Mit regelmäßiger Bewegung, bewusster Körperwahrnehmung und Entlastung im Alltag lässt sich dieser Prozess gut unterstützen.

Zusammenfassung

Nicht jede Verspannung entsteht durch aktuelle Überlastung. Manchmal trägt der Körper noch Erinnerungen an frühere Ereignisse in sich – in Form von erhöhter Muskelspannung oder veränderter Bewegungssteuerung.
Diese alten Muster sind weder gefährlich noch „eingebrannt“, aber sie erklären, warum manche Beschwerden auch nach Jahren noch auftreten können.

Wer versteht, dass der Körper auf Erfahrungen reagiert und Zeit braucht, sie wieder loszulassen, gewinnt Gelassenheit – und oft auch einen neuen Zugang zum eigenen Körpergefühl.

© Felix Kammerlander / Praxis Angewandte Osteopathie

Der Autor

Felix Kammerlander hat Osteopathie studiert und betreibt seit acht Jahren die Praxis Angewandte Osteopathie in Marxheim. Ab sofort erscheint hier regelmäßig seine Kolumne „Gesund mit Felix” mit Gesundheitsinformationen und präventiven Tipps - eine verlässliche Anlaufstelle für Ratschläge zur Vorbeugung, Schmerzbewältigung und für einen ausbalancierten Körper. Viel Freude beim Lesen und Ausprobieren neuer Wege zu mehr Wohlbefinden!

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