Gesund mit Felix (5): Dehnen und Mobilisation – weniger ist manchmal mehr

Die Gesundheitskolumne von Felix Kammerlander (Folge 5)

Viele Menschen greifen bei Verspannungen ganz automatisch zu altbewährten Strategien: kräftig dehnen, fest massieren, mit der Faszienrolle „bearbeiten“ – Hauptsache, die Muskulatur wird endlich weich. Doch oft bleibt der gewünschte Effekt aus oder die Spannung kehrt schnell zurück. Warum? Weil Muskelspannung nicht einfach ein mechanisches Problem ist, das man „herauskneten“ kann. Tatsächlich liegt die Steuerung der Muskelspannung im Nervensystem. Und genau dort setzt der eigentliche Wirkmechanismus von Dehnung und Mobilisation an – ganz ohne Gewalt, Druck oder Schmerz.

Dehnen und Mobilisation

Wenn du einen Muskel dehnst, reagiert zunächst ein sogenannter Dehnungsreflex: Dein Körper registriert, dass eine Struktur verlängert wird, und sendet automatisch Signale, um sie vor Überdehnung zu schützen. Die Muskulatur spannt sich kurzzeitig sogar noch etwas stärker an.

Bleibst du jedoch ruhig in der Dehnung, atmest gleichmäßig und gehst nicht in den Schmerz, passiert etwas anderes: Das Nervensystem erkennt, dass keine Gefahr besteht – und gibt die Spannung nach und nach frei.

Das bedeutet: Die eigentliche Entspannung entsteht nicht, weil der Muskel „physisch gedehnt“ wurde, sondern weil das Gehirn die Anspannung reduziert. Dehnung ist also weniger ein mechanisches als ein neurologisches Signal: „Alles gut, du darfst loslassen.“

Warum „mehr Dehnung“ nicht automatisch „mehr Wirkung“ bedeutet

Viele versuchen, Spannungen dadurch zu lösen, dass sie besonders tief in eine Dehnung gehen. Doch genau das kann kontraproduktiv sein. Wenn der Dehnreiz zu stark ist, reagiert der Körper mit einem Schutzreflex – die Muskulatur zieht sich zusammen, anstatt loszulassen.

Das Ergebnis: kurzfristig vielleicht ein Gefühl von „Zug“, aber keine echte Entspannung.

Sanfte, kontrollierte Bewegungen dagegen signalisieren Sicherheit. Und Sicherheit ist das, was dein Nervensystem braucht, um Spannungen zu regulieren.

Kurz gesagt:

Nicht die Intensität, sondern die Qualität der Bewegung entscheidet.

Mobilisation statt Maximalkraft

Auch bei Mobilisationsübungen gilt: Kleine, fließende Bewegungen sind oft wirkungsvoller als große, erzwungene. Wenn du ein Gelenk sanft durch den Bewegungsradius führst, sendest du tausende kleine Sinnesignale an dein Gehirn – Informationen über Position, Spannung, Bewegung.

Diese Signale helfen dem Nervensystem, die Beweglichkeit besser zu steuern und übermäßige Muskelspannung zu lösen.

Dadurch verbessert sich nicht nur das Bewegungsgefühl, sondern auch die Koordination: Der Körper „lernt“ wieder, wie sich geschmeidige Bewegung anfühlt.

Der Irrtum vom „weichen Muskel“

Es ist ein verbreitetes Missverständnis, dass man verspannte Muskeln „weich drücken“ oder „herausmassieren“ müsse. Muskeln sind keine zähen Gummibänder, die sich durch Druck verformen lassen. Ihr Spannungszustand wird neurologisch geregelt, nicht mechanisch.

Selbst kräftiges Klopfen oder Rollen wirkt letztlich nur über das Nervensystem – durch die Wahrnehmung von Druck, Temperatur und Bewegung. Das Gehirn interpretiert diese Reize als Signal, Spannung loszulassen.

Wenn du das verstehst, ändert sich automatisch dein Umgang mit Verspannungen: Statt „mehr Kraft gegen den Schmerz“ suchst du nach ruhiger, kontrollierter Bewegung, die dem Körper Sicherheit vermittelt.

Wie du Dehnung und Mobilisation sinnvoll einsetzt

1. Weniger Ehrgeiz, mehr Wahrnehmung

Geh nicht bis an die Schmerzgrenze. Halte eine angenehme Dehnposition, atme ruhig und bleib achtsam bei dem, was du spürst. Je ruhiger du bleibst, desto eher schaltet dein Nervensystem in Entspannung.

2. Atmung als Schlüssel

Atmen und Spannung hängen eng zusammen. Tiefes, gleichmäßiges Atmen signalisiert Ruhe und Sicherheit – das wirkt wie ein direkter Zugangsschlüssel zu deinem Nervensystem.

3. Sanfte Mobilisation

Kleine, rhythmische Bewegungen (z. B. Schulterkreisen, Beckenrollen, Fußgelenksrotation) helfen, das Nervensystem „aufzuwecken“ und Spannungen zu regulieren.

4. Regelmäßigkeit schlägt Intensität

Tägliche, kurze Einheiten wirken oft nachhaltiger als gelegentliche, sehr intensive Sitzungen. So bleibt das Nervensystem „trainiert“ im Umgang mit Beweglichkeit.

Warum das Verständnis so wichtig ist

Wenn du begreifst, dass Spannung eine Funktion des Nervensystems ist, verliert sie ihren bedrohlichen Charakter. Du musst deinen Körper nicht zwingen, sondern kannst ihn über Aufmerksamkeit, Atmung und sanfte Bewegung anleiten, wieder in Balance zu kommen.

Diese Perspektive nimmt viel Druck aus dem Thema „Dehnen“ – im wahrsten Sinne des Wortes.

Dehnung und Mobilisation sind keine Kraftakte, sondern Kommunikation mit deinem Nervensystem.

Es geht nicht darum, Muskeln möglichst weit zu ziehen oder zu drücken, sondern darum, deinem Körper Sicherheit zu vermitteln.

Weniger Intensität, mehr Bewusstsein – das ist oft der Schlüssel, um echte Entspannung zu erreichen und langfristig beweglicher zu werden.

© Felix Kammerlander / Praxis Angewandte Osteopathie

Der Autor

Felix Kammerlander hat Osteopathie studiert und betreibt seit acht Jahren die Praxis Angewandte Osteopathie in Marxheim. Ab sofort erscheint hier regelmäßig seine Kolumne „Gesund mit Felix” mit Gesundheitsinformationen und präventiven Tipps - eine verlässliche Anlaufstelle für Ratschläge zur Vorbeugung, Schmerzbewältigung und für einen ausbalancierten Körper. Viel Freude beim Lesen und Ausprobieren neuer Wege zu mehr Wohlbefinden!

© 2025 Hofheim-News | IMPRESSUM | DATENSCHUTZERKLÄRUNG